Beim Durchsehen all der wunderbaren und anregenden Beiträge von Petra Schuseils Bloparade zum Thema „Kultur des Scheiterns“ denke ich mir – worum geht es eigentlich beim Scheitern?


Worum geht es beim Scheitern?
Mein größter Traum als Jugendliche war es, in Brasilien zu leben. Nach dem Abitur wollte ich hinziehen, dort leben. Damals war ich gerade 18 und meine Eltern haben sich komplett quer gestellt. Es ging nicht. Die Kompromisslösung, mit der ich leben konnte (aber nicht wirklich glücklich war), war Frankreich. Der Traum von Brasilien war zunächst gescheitert, was damals ziemlich schlimm für mich war. Jahre später, am Ende meines Studiums, habe ich den Traum dann verwirklicht. Ich habe mir einen Studienplatz in der Stadt besorgt, in die ich wollte, habe mich für ein Auslands-Stipendium beworben und habe mein Studium in einem Affenzahn beendet, um rechtzeitig zu Semesterbeginn in Brasilien sein zu können. Dann wenige Wochen vor der Abreise die Absage: Ich habe kein Stipendium bekommen. Keine Begründung. Ich hatte alles auf eine Karte gesetzt und war gescheitert. Kein Plan B.

Es geht nicht ums Scheitern. Sondern um die Gefühle, die das Scheitern auslösen.
Ich hatte mich mit vollstem Einsatz für meinen Traum eingesetzt. Und war gescheitert. Kein Stipendium bekommen. Wie furchtbar. Wie peinlich. Das ist der Beweis dafür, dass ich versagt habe. Oder?

Die Angst vor dem Scheitern und damit Gebrandmarkt-Sein ist das, was blockiert und vor Risiken scheuen lässt. Oder die Angst, das eigene Selbstbild ändern zu müssen („ich bin die, die gescheitert ist!“). Hätte ich mich nicht so für dieses Stipendium eingesetzt, hätte ich mir – klar – die Ablehnung erspart. Auch die Enttäuschung, es nicht geschafft zu haben, hätte ich nicht spüren müssen. Das wäre der Vorteil der Angst gewesen, wenn ich mich ihr gebeugt hätte. Der Nachteil liegt auf der Hand: Ich hätte mich selbst auf dem Weg zur Verwirklichung meines Traums gestoppt.

Plan A war gescheitert, mein (Herzens-)Ziel war aber weiterhin sonnenklar. Außerdem hatte ich ja den Studienplatz, schon ein Ticket (mit Rückflug ein Jahr später…) und das Studienjahr in Porto Alegre fing wenige Wochen nach dieser Ablehnung an. Plan B gab’s nicht.

Tag 1 nach dem Scheitern
Dieses Mal war aber klar für mich, dass ich in Brasilien leben würde. Es war mir komplett wurscht, wie schrecklich dieses Scheitern eigentlich war (oder hätte sein können, wenn ich mich in dieses Gefühl hätte hinein steigern wollen). Ich habe mir sofort einen Schicht-Job besorgt – neben der Diplomarbeit, die ich wegen Plan A sowieso in einer irrwitzig kurzen Zeit schreiben musste. Und habe geschuftet bis zum Umfallen. Aber die Basis-Versorgung war schließlich gesichert. Während meines Jahres in Brasilien musste ich mehr sparen, als ich das geplant hatte und ich musste arbeiten: Ich habe fürs Goethe-Institut Deutschunterricht gegeben. Eine super Erfahrung.

Es wäre tatsächlich deutlich angenehmer und stressfreier gewesen, dieses Stipendium zu erhalten. Aber im Nachhinein ist es komplett unerheblich. Ich erlebe mich nicht als gescheitert, weil ich meinen Weg trotz allem gegangen bin. Natürlich hätte ich auch darin scheitern können, mich in Brasilien weitgehend selbst zu finanzieren. Ist aber nicht passiert. Und wenn, wäre es von da aus weiter gegangen.

Claudia Frey
Diplom-Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin. Mehr ...

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