Warum die Psychotherapie-Ausbildung dringend reformiert werden muss

Mein Alltag als Psychotherapeutin in der Klinik

Die verzweifelte Frau, die vor mir sitzt, ist etwa 45 Jahre alt. Sie weint und will von mir wissen, ob ihre Tochter wieder gesund wird. Ihr Mann sitzt zusammen gesunken neben ihr. Neben ihm die 19jährige Tochter der beiden, mit versteinertem Gesicht. Ihre Diagnose ist nicht schwer zu erraten, es ist offensichtlich: Anorexie. Das Gespräch ist schwierig, die Fronten in der Familie sind verhärtet. Aber es kann tatsächlich einiges angesprochen werden und im weiteren Verlauf macht die Behandlung der jungen Frau gute Fortschritte.  

Was niemand meiner PatientInnen oder ihrer Angehörigen weiß

Ich bin 30 Jahre alt, arbeite auf der Psychotherapiestation einer Psychiatrie und bin faktisch die verantwortliche Psychotherapeutin für diese und mehrere andere Behandlungen. Meine Aufgabe ist die Planung der Behandlungen und die Durchführung der Therapie selbst. Darüber hinaus führe ich Gespräche mit den Angehörigen und engagiere mich sehr bei den Teamsitzungen auf Station. Natürlich schreibe ich auch die Abschlussberichte, die z.B. an den Hausarzt oder den behandelnden Psychiater geschickt werden.

 

  Ich bekomme kein Geld für meine Arbeit … und ich bin in keinster Weise sozial abgesichert: „Nebenher“ muss ich in einem anderen Bereich arbeiten, um mich finanzieren zu können. Abends sitze ich oft in der Uni-Bibliothek und lese Artikel und Bücher zu den Störungsbildern, die ich tagsüber behandle. Denn meine Anleitung fällt wegen des niedrigen Personalschlüssels oft aus.

 

 

Warum ich das tue? In bin „Psychotherapeutin in Ausbildung“ („PiA“). Ein einjähriges „Praktikum“ in einer Psychiatrie ist die Grundvoraussetzung dafür, eine qualifizierte Psychotherapie-Ausbildung abschließen zu können und bezahlte Praktikumsstellen gibt es kaum. Weil ich es mir nicht leisten kann, ein Jahr ohne Bezahlung zu leben, kann ich das Praktikum nur halbtags absolvieren – deshalb dauert es dann zwei Jahre, bis ich die geforderten Stunden zusammen habe.   Das ist mehr als 20 Jahre her … und man könnte meinen, solche Zustände gehörten längst der Vergangenheit an. Leider nein. Leider eher im Gegenteil. Zusätzlich zur einjährigen Psychiatriezeit muss man inzwischen noch ein halbes Jahr in einer Psychosomatik arbeiten, um die Vorbedingungen für die „Psychotherapieausbildung“ zu erfüllen. Insgesamt also anderthalb Jahre unbezahlte oder schlecht bezahlte qualifizierte Arbeit. [Tweet „Wie man PsychotherapeutIn wird. Oder: Die Ausbeutung von Wissen, Können und Engagement. http://bit.ly/2zWvctN“]  

Stand 2017: Die Schritte zum/r „PIA“

1. Ein hervorragendes Abitur: Der NC (Numerus Clausus) für Psychologie ist seit vielen Jahren extrem hoch. Dieses Jahr liegt er z.B. an der Humboldt Universität in Berlin oder auch in Heidelberg wieder einmal bei einem Abiturschnitt von 1,0. Wenn Sie das nicht glauben können, hier steht es z.B. für die Uni Heidelberg. 2. Ein mindestens 5jähriges Studium (Bachelor + Master, bei mir früher noch Diplom), abgeschlossen mit dem Schwerpunkt „Klinische Psychologie“. 3. Anschließend eine drei- bis fünfjährige „Ausbildung“ in Psychotherapie. Diese muss privat bezahlt werden: Je nach Institut mehrere 10.000 Euros oder sehr viele 10.000 Euros. Erst mit Abschluss eines Ausbildungsvertrags mit einem staatlich anerkannten Ausbidlungsinstitut für Psychotherapie kann eine Stelle als „PIA“ angetreten werden. Hohe Ansprüche sind nachvollziehbar und auch gut, denn unsere Tätigkeit ist schließlich äußerst anspruchs- und verantwortungsvoll. Nur: All das müsste sich in der Anerkennung über ein gerechtes Honorar abbilden – in der Ausbildung und auch später.

 

 

Warum lassen wir PsychotherapeutInnen uns so ausbeuten? Das „Ärzteblatt“ schreibt nach einer Umfrage im September 2017: 14% der „PsychotherapeutInnen in Ausbildung“ bekommen gar keine Vergütung, mehr als die Hälfte 500,-/Monat oder weniger. Der Durchschnittsverdienst ist 635,- im Monat. Man wundert sich, warum überhaupt noch jemand diesen steinigen Weg auf sich nimmt. Der sich  – zumindest finanziell – nicht auszahlt, auch nicht nach vielen Berufsjahren. Die Honorare der Krankenkassen für niedergelassene PsychotherapeutInnen sind die schlechtesten aller Arztgruppen und können diese Ausgaben kaum kompensieren. Ich habe meinen Beruf immer geliebt und das ist nach all den Jahren noch immer so. Außerdem weiß und sehe ich täglich, wie sehr eine Psychotherapie das Leben eines Menschen verändern kann. Das war und ist unglaublich motivierend. Ich vermute, vielen meiner KollegInnen geht es ähnlich. Es gibt derzeit keinen anderen Weg, diesen wunderbaren Beruf zu ergreifen, als das Nadelöhr der Praktika und der Ausbildung zu passieren.  

Veränderung in der Psychotherapie-Ausbildung tut not

Ich selbst bin inzwischen in der Ausbildung von PsychotherapeutInnen engagiert (am ganz wunderbaren IVT-Kurpfalz, um das hier einmal zu erwähnen) – und es könnte mir egal sein. Ist es aber nicht: Mir und vielen meiner KollegInnen ist es ein echtes Anliegen, die Bedingungen der „PsychotherapeutInnen in Ausbildung“ zu verbessern. Und wir hoffen, dass die zuständigen Ministerien die schon seit vielen Jahren angekündigte Reform der der Psychotherapie-Ausbildung nun endlich angehen. Wenn Sie diese Bedingungen ebenso wie mich empören, können Sie sich hier an einer Unterschriftenaktion beteiligen – damit die Ausbildungsbedingungen von PsychotherapeutInnen in der nächsten Legislaturperiode endlich reformiert werden. Und wenn Sie gerne immer wieder einmal Nachrichten von mir bekommen möchten, die über die Blogposts hinaus gehen, melden Sie sich bitte für meinen Newsletter an (auf der rechten Spalte).   [Tweet „Wie man PsychotherapeutIn wird. Oder: Die Ausbeutung von Wissen, Können und Engagement. http://bit.ly/2zWvctN“]

*Der Titel „Psychologische/r PsychotherapeutIn“ ist gesetzlich geschützt und darf nur von entsprechend Qualifizierten benutzt werden. Das ist sehr gut und eine deutliche Verbesserung zur Zeit vor 1998 (vor dem „Psychotherapeutengesetz“, das dies alles geregelt hat). photo: Nachdenkliche Frau © Christian Schwier, fotolia.de

Claudia Frey
Diplom-Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin. Mehr ...

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