Genuss und Stress – Ein Gegensatz?

Ach, ich habe schon wieder zu viel gegessen/getrunken/gefeiert.“ 

Solche Sachen höre ich oft. Aber auch: „Mir ist das zu viel Konsum. Ich will mal ausmisten.“ Oder: „Alle reden vom Fasten. Ich will das auch mal probieren. Vielleicht auch mal Serien-Fasten/Internet-Fasten.“

Genießen war noch nie ein leichtes Ziel…

In den 80ern, als ich so um die 20 war, gab es einen Ohrwurm aus der damals so genannten Liedermacher-Szene, von Konstantin Wecker (vielleicht erinnern sich manche?):

„Und dann will ich, was ich tun will endlich tun
an Genuss bekommt man nämlich nie zu viel.
Nur man darf nicht träge sein und darf nicht ruhen,
denn genießen war noch nie ein leichtes Spiel“*

Der Song hieß: „Wenn der Sommer nicht mehr weit ist“ und er erschien uns grade im Mai sehr passend und hat etwas vom damaligen Zeitgeist erfasst, das uns aber auch heute gar nicht fremd ist: Dem Bedürfnis, sich intensiv ins Leben zu stürzen.

 

Ist Genuss altmodisch?

„Genuss“ klingt für meine Ohren inzwischen altmodisch. Ist es aus der Mode gekommen, zu genießen? Oder haben wir es vielleicht sogar verlernt?

„Stress“ ist dafür sehr modern. Oder auch die Floskel „kein Stress!“ – die ja wiederum darauf hindeutet, dass man vermutlich eben doch Stress hat.

Ich glaube, das Genießen ist tatsächlich kein leichtes Spiel – es hat mit Balance zu tun, mit Achtsamkeit. Mit Wertschätzung dessen, was ist. Auch mit ein wenig Innehalten im täglichen Gewusel. Tatsächlich auch mit (Selbst-) Beschränkung.

 

Achtsamkeit und „sich Zeit nehmen“ gegen den Stress

In der heutigen Welt mit all ihren Möglichkeiten und den eng getakteten Stundenplänen ist das Genießen wahrscheinlich wirklich noch ein bisschen schwerer geworden, als es das damals, in den berühmt-berüchtigten 80ern war.

Aber: Warum sollten wir uns überhaupt mit dem Genießen beschäftigen?

Gerd Kaluza** gilt seit vielen Jahren als DER Experte für Stressbewältigung. Er hat die „Acht Gebote des Genießens“ aufgestellt. Denn das Genießen – auch wenn es nicht leicht ist – ist eine der mächtigsten Strategien gegen Stress. Interessant, oder?

 

Die acht Gebote des Genießens (als Weg, Stress zu bewältigen)

Sich darin zu üben und zu schulen, wirklich zu genießen, kann nicht nur sehr angenehm sein, sondern eben auch sehr wichtig, um mit unseren vielfältigen Alltagsbelastungen gut umzugehen.

Die Frage heißt also nicht:

„Soll ich fasten oder genießen?“ oder „Sollen wir uns auch dann noch Zeit fürs Genießen nehmen, wenn wir „Land unter“ haben?“

– sondern sie heißt:

„Wie bekommen wir es auch in stressigen Zeiten hin, uns Zeit für das Genießen zu nehmen?“

Denn wenn wir das „schwere Ziel“ des Genießens meistern, können wir auch unter Belastung stark und leistungsfähig bleiben.

Hier einige Beispiele der „Genuss-Gebote“ von Gerd Kaluza:

 

Nimm dir Zeit zum Genießen

Das klingt banal, ist aber eine ganz wichtige Voraussetzung für das Genießen. Genuss geht nicht unter Zeitdruck – aber manchmal genügt schon ein Augenblick.

Ein Beispiel dafür (ich habe leider vergessen, wo ich das einmal gelesen habe, jedenfalls nicht bei Herrn Kaluzza) ist die „5-Minuten-Kaffeemeditation“. Die geht so: Man trinkt die Tasse Kaffee, die man sowieso trinkt, ganz achtsam: Das heißt, aufmerksam für jede Facette des Genusses, langsam und ohne Ablenkung. Wenn irgend möglich, lässt man sich dafür volle fünf Minuten Zeit. Und dann geht’s weiter. Gestärkt und zentriert.

 

Genieße lieber wenig, aber richtig

Ein populäres Missverständnis über Genießen ist, dass derjenige mehr genießt, der mehr konsumiert. Für den Genuss ist jedoch nicht die Menge, sondern die Qualität entscheidend. Ein Zuviel wirkt auf die Dauer sättigend und langweilig. Wir plädieren deshalb dafür, sich zu beschränken, nicht aus Geiz oder aus falscher Bescheidenheit, sondern um sich das jeweils Beste zu gönnen.

So kann zum Beispiel eine richtig gute Praline viel mehr Freude und Zufriedenheit schaffen, als eine Tafel Billigschokolade, die letztlich doch oft nur ein leeres, mieses Gefühl hinterlässt.

 

Planen schafft Vorfreude

Eine Redensart besagt, dass man die Feste feiern soll, wie sie fallen. Das Zufällige, Spontane, Unerwartete bringt häufig einen ganz besonderen Genuss. Faktisch ist es aber gar nicht so günstig, den Genuss alleine dem Zufall zu überlassen – denn manchmal müsste man dann lange warten. Im Alltag wird es oft nötig sein, angenehme Erlebnisse zu planen. Sich also die Zeit dafür einzuteilen, die entsprechenden Vorbereitungen zu treffen, Verabredungen zu vereinbaren usw. Das hat den zusätzlich angenehmen Effekt, dass Sie sich auf das bevorstehende angenehme Ereignis schon länger vorher freuen können.

 

Weniger ist also mehr

Schon diese kleine Auswahl der „Genussgebote“ (in Kaluzzas Buch gibt es noch mehr: Ich empfehle die Lektüre sehr!) zeigt: Es geht eben nicht um „Völlerei“, um „mal wieder richtig feiern“. Oder um das neueste „irgendwas“. Deshalb ist auch das oben zitierte „Fasten“ nicht die richtige Gegenmaßnahme.

Sondern es geht darum, das, was wir haben mit Respekt und mit der dafür nötigen Zeit auszuschöpfen. Dann ist es gar nicht mehr so schwer, zu genießen. Und auch nicht, damit ein Gegengewicht gegen den allgegenwärtigen Stress zu schaffen.

Echter Genuss, also der, der uns wirklich innerlich erfreut und bereichert, der steht uns immer zur Verfügung – egal wie knapp grade Geld oder Zeit ist. Und genau dann ist er besonders wichtig und ich glaube auch besonders schön.

Übrigens: Ich bin nicht ganz sicher, aber ich könnte mir vorstellen, dass Konstantin Wecker „Genuss“ heute auch anders definiert als in den 80ern.

[Tweet „Genuss und Stress – kein Gegensatz! Neuer Blogpost: https://www.claudiafrey.de/g-s“]

 

Meine Fragen an Sie:

1) Wann haben Sie das letzte Mal etwas so richtig genossen?

2) Wie häufig genießen Sie irgendetwas so richtig? (Tipp: Täglich ist nicht übertrieben!)

3) Gibt es bestimmte „Kategorien des Genießens“, die Sie nicht (mehr) „üben“?

Wie wäre es mit einer „challenge“?

Eine Woche lang jeden einzelnen Tag mindestens einmal etwas genießen. Wenn möglich, in dieser Woche verschiedene „Genuss-Kategorien“ (z.B. Essen/Trinken, Natur, etwas mit Freunden unternehmen, Musik, Kunst) ausprobieren. Schreiben Sie mir gerne, wie es Ihnen damit ergeht. Ich bin gespannt. Nur so als Anregung…

Und wenn Sie gerne ab und zu Nachrichten von mir bekommen möchten, die über die Blogposts hinaus gehen und in denen Sie mehr über mich und meine Arbeit erfahren: Tragen Sie sich gerne rechts in den Verteiler meines Newsletters ein.

*“Wenn der Sommer nicht mehr weit ist“, aus „Weckerleuchten“ von Konstantin Wecker

***Aus Kaluza, G.: „Stressbewältigung“, Springer-Verlag GmbH (2001)/Auszug mit freundlicher Genehmigung des Springer-Verlags , Lizenznr.: 4244961041731 vom 09.12.17

photo:“Close up white coffee cup with heart shape latte art on wood tab“  © #116619399 | Urheber: weedezign, fotolia.de

Claudia Frey
Diplom-Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin. Mehr ...

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